La Fenêtre
Für Jann und Hermi hat sich das Fenster, um über die Biskaya zu segeln, endgültig geschlossen.
Es war ein Wechselbad der Gefühle. Alle zwei Tage mit dem Gefühl in die Koje zu gehen, morgen geht es endlich los. Im Ölzeug am Steg, die Fenderbank verkleinern, um kurz vor dem Ablegen noch einen Blick auf die aktuelle Wetterlage zu werfen. Dann die Erkenntnis, dass wieder einmal ein völlig neues meteorologisches Szenario entstanden ist. Am Abend sah es doch noch machbar aus! Wir hatten Essen vorbereitet, alles seeklar gemacht, überprüft und verstaut und jetzt wird aus dem Nichts ein kleines Sturmtief aus dem Ärmel gezaubert und legt sich uns direkt in den Kurs.
Schon eine denkwürdige Situation: Mitte November in der Bretagne die Vorhersagekarten zu studieren und sich Gedanken darüber zu machen, ob das kleine Orkantief in der Biskaya, Böen 60 kn, Winddrehung fast 180 Grad, uns mehr beschäftigen würde als die Unwetterwarnung für die spanische Küste wegen ungewöhnlicher meteorologischer Ereignisse, die uns das Anlaufen eines Hafens unmöglich machen würden.
Jimmy Cornell schrieb über die Eigenschaften eines Seglers:
„Der Einfluss, den ein gesunder Menschenverstand auf eine gute Seemannschaft ausüben kann, zeigt sich in der Erkenntnis, dass eine der wichtigsten Eigenschaften, die ein Segler benötigt, Geduld ist. Ein wenig Demut und Respekt vor den Naturgewalten ist genauso wichtig. Ein Schiff ist zu diesem oder jenen Ziel bestimmt. Ein Schiff kann aber durch vielerlei Dinge davon abgehalten werden, sein gewünschtes Ziel zu erreichen.“
Nach so einer Enttäuschung stellte sich bei uns eine eigenartige Leere ein. Wir saßen im Cockpit und sprachen kein Wort und konnten es einfach nicht fassen. Langsam kehrte die Bordroutine zurück und wir arbeiteten weiter am Schiff. Es gab noch jede Menge ablenkender Dinge zu erledigen.
Abends erneuter Aufruf der Wetterkarten. Hatten wir eine Chance verpasst oder würde sich eine bessere abzeichnen? Im Hinterkopf Wünsche, Erwartungen und die Reiseplanung der nächsten Crew. Wann sie informieren, wie weit wir es überhaupt noch schaffen könnten? Ganz sicher nicht zu den Kanaren. Faro? Könnte noch klappen.
Ein kleiner Tropfen aus einem Kreis enger Isobaren fiel westlich von Irland nach Süden. Fast unmerklich, dann aber mit beeindruckender Deutlichkeit, entwickelte er sich zu einem respektablen Orkantief mit Böen von 89 kn. Unter ihm baute sich ein weiträumiges Seegangsgebiet auf, das die Biskaya förmlich ausfüllte. Der Kern hielt sich mit einer mittleren Wellenhöhe von 10 m am Westausgang des Englischen Kanals auf. Damit war der Weg nach Westen verstellt und unser Fenster endgültig zu.
Für uns, die wir am Wochenende zurück reisen mussten, erlosch das kleine Hoffnungslicht, doch noch segeln zu können. So wurde aus 15 sm in 14 Tagen an Bord ein denkwürdiger Rekord. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Cornell Recht hat mit seinen Aussagen. Was gewonnen wurde, ist die Erkenntnis, dass die Elemente immer noch ein Ass im Ärmel haben, während wir glauben, mit Grib-Daten und GPS um ein Orkantief herumfahren zu können, als wäre es ein lästiges Hindernis. Unsere Überlegungen waren unter dem zunehmenden Zeitdruck eher geprägt von theoretischem Geplänkel. Die berechtigte Frage des beratenden Meteorologen von „WetterWelt“:
„Wollen Sie wirklich gegen 8 m hohe Wellen ankreuzen???“
löste eine Rückbesinnung auf das aus, was gute Seemannschaft ausmacht:
Gesunder Menschenverstand.
Mit der Erkenntnis im Gepäck, diese Lektion gelernt zu haben und der Hoffnung, dass auch nachfolgende Crews sie jederzeit beherzigen möge, verlassen wir die spätherbstliche Bretagne. Die Meteorologen haben eine Änderung der Großwetterlage angekündigt. Wir hoffen für die nächste Crew auf ein weit geöffnetes, sonniges Fenster.